AKG Perception 820 Tube Test

Wer heute ein altes AKG C12 Röhrenmikrofon erwerben möchte, muss lange suchen und dann mehrere Tausender hinblättern. Deutlich preiswerter und rauschärmer kommt seit vielen Jahren das Remake aus gleichem Haus daher, das C12 VR. Allerdings ist auch dieses nicht wirklich zum “Discountpreis” erhältlich. Als Alternative boten AKG eine Zeit lang das “Solitube” an, welches vielen Kunden jedoch anscheinend zu wenig Charakter hatte. Beerbt wird die niedrigste Großmembran-Röhrenmikrofonklasse durch das in China gefertigte Perception 820.

Als der österreichische Traditionshersteller vor einigen Jahren mit der Produktion in China begann, brach für manche treue Fans eine Welt zusammen. Es wurde allerdings schnell klar, dass AKG nicht ihre Seele an den Teufel verkauft hatten. Zwar können in den Augen und Ohren vieler Tontechniker die Fernost-Produkte nicht voll mit den alpenländischen Originalen mithalten, doch dank eines hervorragenden Entwicklerteams und einer offensichtlich gut funktionierenden Qualitätskontrolle sucht man wirklich schlechte Mikrofone in der Geschichte des Unternehmens glücklicherweise vergeblich. Das 820 bewegt sich preislich in einem Bereich, in dem es vor Konkurrenz mit vergleichbarer Ausstattung nur so wimmelt. Mal sehen, ob das Herz des Neulings eher für Österreich oder für China schlägt.

Details

Das Röhrenmikrofon muss wie üblich über ein externes Speisenetzteil mit Betriebsspannung versorgt werden, die Verbindung zwischen beiden Einheiten wird mittels 7-poligem XLR-Kabel hergestellt, das zum Lieferumfang gehört. Neben der rückseitigen Umschaltung der Netzspannung zwischen 110 und 230 Volt und einem Ground-Lift, verfügt das Perception-Speisenetzteil über zwei weitere Schalter auf der Vorderseite. Diese erscheinen auf den ersten Blick “langweilig”, denn es sind Hochpassfilter und Pad-Schaltung. Das Filter beschneidet bei der beliebten Grenzfrequenz von 80 Hz und einer technisch sinnvollen Flankensteilheit von 12 dB/Oct das Signal im Bassbereich.

Über einen „schnöden“ Pad-Schalter von -20 dB muss ich wohl nicht viele Worte verlieren. Nun, wer gedacht hat “Das Lesen der Details spare ich mir, ich sehe doch schließlich auf den Fotos alles”, der hat nicht bedacht, dass meine Kamera leider im Röntgenbereich nicht ausreichend gut funktioniert. Mit verbalen Mitteln funktioniert das Hineinsehen allerdings sehr gut und ist hier auch nötig: Das Pad ist kein einfacher Signalabschwächer, wie man ihn von anderen Mikrofonen her kennt. Diese sind so designt, das Mikrofon möglichst ohne Klangveränderungen in der Empfindlichkeit herabzusetzen. Dies macht das Pad des AKG zwar auch, sonst wäre der Aufdruck “-20 dB” definitiv fehl am Platze, aber es gibt eine technische Besonderheit: Der kleine Kippschalter verringert die Betriebsspannung der Doppeltrioden-Röhre im Mikrofonkorpus, was zur Folge hat, dass diese weniger “heiss” gefahren wird. Wer schon einmal Kennlinien von Verstärkung und THD gesehen hat, weiß, dass im höheren Verstärkungsbereich die (durchaus wohlklingenden) harmonischen Verzerrungen rapide zunehmen. Durch das Pad erhält man demnach einen linearen, weniger färbenden Klangcharakter! Wer hätte das gedacht?!

Die beiden Rücken an Rücken stehenden Membrane des 820 sind nicht vorpolarisiert und verfügen über einen Durchmesser von 25 Millimetern, also knapp einem Zoll. Die Kapseln sind – wie üblich bei umschaltbaren Großmembran-Mikrofonen – mit einem Laufzeitglied ausgestattete Druckgradienten-Empfänger, die sie jeweils zur Niere werden lassen. Die Verschaltung der Signale der beiden Kapseln erfolgt über den großen Drehschalter am Speisenetzteil.

Zusätzlich zu Kugel, Niere und Acht lassen sich dort noch sechs weitere Zwischenstufen auswählen, was für den Praxisbetrieb absolut ausreichend ist. Das Frequenzdiagramm der vorderen Kapsel im Solo-Betrieb (also als Niere) zeigt einen sanften Anstieg zu etwa 50 Hertz, von denen es dann linear bis zu 2 kHz läuft. Das Plateau von dort bis gut 5 kHz verspricht leicht hervortretende Präsenzen. Zwischen 10 und 15 kHz macht sich eine Verstärkung von 5 dB bemerkbar, das darüber liegende Air-Band fällt bis 20 kHz wieder ab, allerdings im für Großmembran-Mikrofone üblichen Rahmen. Wie zu erwarten, weist die Richtcharakteristik „Acht“ eine deutlich höhere Präsenzanhebung auf und verfügt über ein nahezu frequenzunabhängiges Polardiagramm. Die Kugel gibt ihre Kreisform erwartungsgemäß bei seitlicher Besprechung in den Höhen auf, doch geschieht dies laut Hersteller erst bei über 10 Kilohertz. Zudem weist das Frequenzbild einen kleinen Einbruch unter 5 kHz auf.

Mit einer Empfindlichkeit von 20 mV/Pa zählt das Perception nicht unbedingt zu den Sensibelchen, kann dafür mit 135 dB(SPL) bei 0,5% THD einiges an Schall verkraften. Mit dem 20dB-Pad erhöht sich dieser Wert auf (rechne, zähl, anstreng) 155 dB(SPL), womit wir uns langsam der Kategorie Bassdrum nähern. Die Schaltung um die ECC83-Röhre kann verständlicherweise nicht alle Teilchen in einen Kälteschock versetzen, im Gegenteil: Durch Wärme entsteht willkürliche Bewegung, die sich am Ausgang des Perception in einem äquivalenten Rauschen von 16 dB nach Filterung mittels A-Kurve manifestiert. Es gibt sicher geringere Werte, allerdings ist das 820 auch ein “echtes” Röhrenmikrofon und das Rauschen kilometerweit von dem eingangs genannten C12 entfernt.

Praxis

Nix Plastik! Das eisblau gebürstete Mikrofon liegt schwer und wertig in der Hand, die Verarbeitung – auch die des Speiseteils – wirkt ordentlich. Das Vorurteil “China” scheint also erst einmal nicht zu greifen. Bezüglich der Materialien und Fertigungsgenauigkeiten sollten die chinesischen Autohersteller eventuell auch einmal Spione in die Fabrik entsenden, die dieses Mikrofon hergestellt hat. Auch am Speisenetzteil gibt es nichts zu mäkeln. Ob die gebürsteten Oberflächen und die Farben als “edel” oder “überdesignt” angenommen werden, darf jeder selbst entscheiden. Ich persönlich mag den kühlen “Badezimmer-Look” derartiger Audiogeräte nicht sonderlich, aber ich habe auch eine ausgeprägte Liebe zu echtem Vintage und zurückhaltender Zeitlosigkeit (à la Wagenfeld oder Jacobsen). AKGs Spinnen können ebenfalls als “Soll” herhalten, das zum “Ist” einiger anderer Hersteller eine doch oft recht hohe Differenz aufweist: Sie sind leicht, funktionell und haltbar. Doch was sollen diese Anmerkungen, es geht schließlich bei einem Mikrofon in erster Linie um Wesentlicheres, den Sound!

Nix Plastik! Auch diesen Absatz kann ich getrost so anfangen, denn das 820 Tube klingt definitiv nach einem echten Röhrenmikrofon! Es “drückt” das Signal ein wenig mit sanfter Pegelkennlinie, fügt bei höherpegligen Signalen zunehmend deutlich Harmonische hinzu, die jedoch schnell genug mit einer Signalspitze wieder verschwinden, um nicht ungewolltes Schmieren hinzuzufügen. Daher wird auch transientenreiches Material –hörbar vor allem an den S- und T-Lauten – ohne Zerstörung übertragen. Dies ist im Allgemeinen ein Hinweis auf eine hochwertige Kapsel und eine durchdachte Schaltung ohne viel Firlefanz. Angenehm ist zudem die geringe Popp-Anfälligkeit des Schallwandlers, die Sängerin musste für das File schon annähernd forciert P-Laute erzeugen (Aufnahmen ohne Popp-Filter). Das Vocal-File bei Nierencharakteristik bestätigt das Frequenzgang-Diagramm. Die sanfte Anhebung der Präsenzen und des Bereichs um die 12 kHz steht den meisten Vocals sehr gut. Dadurch eignet sich das Perception im Nierenbetrieb vor allem für die Aufzeichnung der menschlichen Stimme.

Audio Samples
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Vocals, Niere Vocals, Niere mit HPF Vocals, Acht Vocals, Kugel Vocals, Referenz 1 (AKG C414) Vocals, Referenz 2 (Neumann TLM103) Sax, ohne Pad Sax, mit Pad Sax, Referenz 1 (AKG C414) Sax, Referenz 2 (MA-201)

Für manche Instrumente mag dies etwas kontraproduktiv sein, doch geht das 820 moderat zu Werke – nichts, was sich nicht mit einem ordentlichen EQ (falls gewünscht) wieder ausgleichen ließe. Wer von mir etwas pauschaler eine Aussage zur “Wärme” dieses Mikrofons haben möchte, dem kann ich sagen: “Ja, ist da.” Das liegt allerdings nicht zuletzt am Frequenzgang des Mikros. Wenn man aber den Pad-Schalter betätigt, ist sie sogar etwas deutlicher als bei manchem anderen Röhrenmikrofon, aber eben ohne viele oft ungewünschte oder in vielen Situationen unpassende Nebeneffekte. Von “Vintage-Charakter” möchte ich hier aber nicht sprechen, denn dafür ist das Mikrofon dann doch zu offen, zu schnell, zu modern und zu brillant.

Die unterschiedlichen Klangcharakter würde ich mir gerne noch extremer wünschen. Wäre das Pad noch eine Schippe “heißer” gefahren, würde man mit dem 820 bei Bedarf einen richtigen Soundmacher haben. Das summierte Signal der beiden Nierenkapseln – die Kugel also – verhält sich erwartungsgemäß, der nach Polardiagramm recht späte Einbruch der Charakteristik-Konstanz hat in der Praxis keinerlei wesentliche Effekte – andere Mikros verhalten sich mehr oder weniger gleich. Die Delle unterhalb von 5 kHz ist zu verschmerzen. Manchen Signalen tut eine Abschwächung hier sogar recht gut (dem Altsaxophon etwa), anderen fehlt dadurch etwas Biss. Die Acht ist eine Acht, wie sie sein sollte: „eckig“ und präsent. Die akustischen Einflüsse der Kapsel selbst wirken erst bei enorm hohen Frequenzen auf den Frequenzgang, sodass die angegebene Konstanz der Empfindlichkeit auch tatsächlich erreicht wird. Für eine stark präsente Stimme, die dennoch ausreichend luftig ist, ist die Acht nicht nur bei diesem Mikrofon mein Favorit für Gesang – vor allem bei Raps. 

Das AKG Perception 820 Tube ist kein „Wannabe“ wie viele seiner Konkurrenten in dieser doch sehr moderaten Preisregion. Der österreichische Hersteller vollzieht die Gratwanderung, ein in China gefertigtes Doppelmembran-Röhrenmikrofon zu einem erstaunlich günstigen Preis auf den Markt zu bringen, ohne abzustürzen, also seinen Ruf zu beschädigen. Im Gegenteil: Das 820 überrascht mit durchdachtem Design und hochwertiger Verarbeitung, genauso wie mit echtem Röhrensound. AKG versuchen nicht, das Perception in die ausgetretenen Bahnen der beliebten und heute fast unerreichbaren Vintage-Röhrenmikrofone zu lenken, sondern gestehen ihm zurecht eine optische wie akustische Eigenständigkeit zu. Die typischen Eigenschaften einer echten Röhrenschaltung werden mit modernen technischen Werten und Klangeigenschaften verbunden. Sicher: Zur Upperclass der Röhrenmikrofone gibt es einen deutlich wahrnehmbaren Unterschied, jedoch ist dieser klanglich nicht so ausgeprägt wie preislich. Es ist also kein Zufall, dass der erste Eintrag in der Pro-Liste das Preis-/Leistungsverhältnis ist.

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Preis-/Leistungsverhältnis
  • edler Röhrensound
  • Verarbeitung
  • Empfindlichkeits-Umschaltung beeinflusst Klangverhalten
Contra
  • dürfte im Pad-Betrieb stärker färben
Artikelbild
AKG Perception 820 Tube Test
Für 479,00€ bei
AKG_PerceptionTube_22
TECHNISCHE DATEN
  • umschaltbares Röhren-Doppelmembran-Großmembranmikrofon
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger (mit Laufzeitglied)
  • Richtcharakteristiken: Kugel, Niere, Acht und sechs weitere Zwischenstufen,
  • einstellbar am Speiseteil
  • Wandlerprinzip: Kondensator (nicht vorpolarisiert)
  • Betriebsspannung: durch das Speisenetzteil
  • Frequenzgang: ca. 20 Hz – 20 kHz
  • Hochpassfilter: 80 Hz / 12 dB/oct
  • Pad: -20 dB, schaltet die Röhrenspannung herunter
  • Übertragungsfaktor: 20 mV/PA
  • THD+N: 16 dB(A-bewertet)
  • maximaler Schalldruckpegel: 135 dB(SPL) bei 0,5% THD
  • Ausgang: 7-pol XLR am Mikrofon, 3-pol XLR am Speisenetzteil
  • Preis: 699 Euro (UVP)
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Kommentieren
Profilbild von Hans

Hans sagt:

#1 - 29.11.2014 um 01:02 Uhr

0

Hallo,Vielen Dank für den Test.Welches AKG 414 war denn damals genau das Vergleichsmodell, es gibt ja mehrere davon (z.B. TLII oder XLS u.a.)
...falls das noch jmd sagen könnte, wäre es toll ;)Danke, Hans

Profilbild von Nick (bonedo)

Nick (bonedo) sagt:

#2 - 29.11.2014 um 01:18 Uhr

0

Hallo Hans,da musste ich tatsächlich etwas in meinem Hirn kramen, aber ich hab's gefunden: Das ist das C 414 XL II gewesen. Der Test zu diesem wiederum ist hier zu finden: http://www.bonedo.de/artike...Beste Grüße,
Nick

Profilbild von Hans

Hans sagt:

#3 - 01.12.2014 um 18:31 Uhr

0

Vielen Dank für die schnelle Antwort!Gibt es denn zufällig Erfahrungen eurerseits mit dem 820 Tube an lauten Quellen (klassischer Gesang, Flügel) - bleibt es da verzerrungsfrei?
An sich gefällt mir sehr gut, was hier und anderweitig im Netz zu dem Mic zu hören ist.Grüße, Hans

Profilbild von Nick (bonedo)

Nick (bonedo) sagt:

#4 - 04.12.2014 um 13:51 Uhr

0

Hallo Hans,das Mikrofon bleibt sehr lange – also auch bei hohen Pegeln – konstant in seinem Klangverhalten. Das macht es natürlich eher schwer, ihm stärkere Färbung zu entlocken, ist aber für genannte Anwendungen sicher vorteilhaft. Andererseits werden für klassische Stimmen und Flügel im Regelfall Kleinmembran-Kondensatormikrofone benutzt. Diese besitzen aufgrund der kleineren Kapseldurchmesser vor allem eine bessere Höhenwiedergabe. Schau doch mal in unseren Testmarathon mit 42 Mikros im Vergleich: http://www.bonedo.de/artike... Aber natürlich kann man auch mit GMK-Mikrofonen hervorragende Ergebnisse erzielen.Beste Grüße,
Nick

Profilbild von Rasmuse

Rasmuse sagt:

#5 - 01.11.2022 um 21:47 Uhr

0

Hey, hatte mich erst sehr gefreut zu lesen, das auch Sax-Samples als Hörbeispiel angeboten werden. Leider hat da hat ein Hobbysaxophonist mit einem nicht sonderlich guten Horn und einem mittelmäßigen Ansatz einspielen dürfen. Das klingt mit keinem Mikro gut. Der Mehrwert ist dann eher gering

    Profilbild von Nick Mavridis

    Nick Mavridis sagt:

    #5.1 - 02.11.2022 um 08:48 Uhr

    0

    Hi Rasmuse, da hast Du vollkommen Recht. Der Hobbysaxophonist (und sogar noch nicht einmal das…) war ich und das Altsax ein uraltes, servicebedürftiges Voss. Und was Du da in einem zwölf Jahre alten Test feststellst, ist genau der Grund, weshalb ich seither auf derartige Soundbeispiele verzichte. Mit Saxophon, Trompete, Gitarre und andere Instrumente teste ich zwar meist die Mikrofone, erspare aber den Lesern die Kunstwerke und mir die Blöße. Beste Grüße und "Gut Blatt" (oder wie sagt man?) Nick Mavridis

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