sE Electronics RN17 Test

Schon bevor die sE Electronics RN17 bei uns zum Review eintrafen, kannte ich die Pressemeldungen über das mit Sir Rupert Neve designte Mikrofon – und die zugehörigen Bilder. Ich war zugegebenermaßen etwas erstaunt über das – sagen wir – „eigenwillige“ Design, aber Mikrofone müssen ja nicht in erster Linie schön aussehen und dabei nichts können wie die Schickeria: Sie müssen besonders klanglich einiges leisten. 

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Der Name Neve steht allerdings im Gegensatz zu dem, was von Kleinmembran-Mikros gemeinhin erwartet wird, denn wer die Produkte aus Rupert Neves Hand kennt, der weiß, dass es ihm meist um das gewisse Quäntchen „Farbe“ geht. Die Produkte der wichtigen Unternehmen mit seiner Beteiligung – AMS Neve, Amek, Focusrite und Rupert Neve Designs – sind dementsprechend vom Pop-/Rock-Sektor üblicherweise mit großem Wohlwollen aufgenommen worden. Einige unter ihnen haben es sogar zu absoluten Klassikern gebracht. Es ist naheliegend, dass auch die Kleinmembraner RN17 nicht in die Kategorie „gänzlich unauffällig und charakterlos“ gehören werden – das Äußere schreit dieses Statement kräftig in die Welt hinaus.

Details

„Form follows function“ – der Grund für die Mistel

Ihr kennt Misteln, oder? Falls nicht: Das sind diese Schmarotzerpflanzen, die sich an ihren Wirtsbäumen bedienen und die besonders dann auffallen, wenn die Bäume laublos sind. Dann erkennt man die buschigen Auswüchse an den Ästen besonders gut. Der dicke Auswuchs an einem sonst eigentlich immer zylindrischen und schmalen Kleinmembranmikrofon ist schon ein Eye-Catcher, zweifelsfrei. Dann will ich gleich mal das Geheimnis lüften: Nicht, dass Mr. Neve Design egal wäre (dann wäre die Amek 9098-Serie nicht so unfassbar schön!), aber einfach des Designs willen einen unförmigen Klotz an ein Mikrofon kleben – das wird ihm niemand zutrauen. Wie das legendäre Sony C800G seinen Auswuchs durch notwendige Wärmeabführung zu rechtfertigen weiß, gibt es auch beim RN17 einen triftigen Grund, der uns direkt zum Kern dieses Mikrofons (und sogar seines Klangs!) führt: Der schwarze Bottich beherbergt einen großformatigen, handgewickelten Ausgangsübertrager, der für die RN17 speziell entwickelt und gefertigt wird. Und da den Übertragern in Neve-Geräten eine stark klangbildende Aufgabe zukommt, kann man auch bei den RN17 davon ausgehen, dass Mikrofone hier keine Ausnahme darstellen. 

Fotostrecke: 3 Bilder Frei nach Antoine de Saint-Exupéry: „Das ist keine Schlange, die einen Elefanten verschluckt hat, das ist ein Mikrofon, das einen Transformator verschluckt hat.“

Groß und schwer

An seiner dicksten Stelle ist ein sE RN17 stolze 4,4 Zentimeter breit. Was die dickste Stelle ist, muss ich wohl nicht noch einmal gesondert darstellen. Auch die Länge von 20 Zentimetern und das Gewicht von einem knappen Viertelkilo sind stattlich. Klar, dass man sich bei dem Versuch äußerst schwer tun würde, das Kleinmembran einer normalen Mikrofonklemme anzuvertrauen. Bei sE Electronics hatte man das ganz offensichtlich bedacht und eine große elastische Halterung gefertigt. Diese erinnert mich mit ihrem Doppelkranz etwas an die Spinne meiner beiden Equitek-Mikros. 

Vollversorgung

Zum Lieferumfang eines RN17-Sets gehört aber mehr als nur ein Mikrofon und seine elastische Halterung: Zunächst einmal gibt es derer zwei, denn es handelt sich um ein Stereoset. Alleine durch die Dimensionen der vier Teile wird deutlich, dass es trotz Kleinmembran-Mikrofon mit „klein“ bei der Verpackung nicht ganz getan ist: Der dicke Flightcase-Koffer erweckt den Eindruck, als beherberge er ein umschaltbares Großmembran-Röhrenmikrofon mit Spinne, Netzteil und Siebenpolkabel. Zum Stereoset kann man noch ein Set mit ominösen Pillendöschen erstehen – in welchen sich jedoch nicht etwa die Extrakte einer gewissen Hanfpflanze befinden (auch nicht die einer Mistelart, auch wenn diesen zumindest pharmakologische Wirkung nachgesagt wird…): Das sE Electronics RN17 ist schließlich ein Modularsystem, in den Metallbehältnissen befinden sich die weiteren Kapseln. Mit je einem Pärchen Nieren, Nieren mit Tiefensperre, Hypernieren, Achten und Druckempfänger-Kugeln sind für alle Stereofoniesysteme ausreichend Charakteristika vorhanden. AB, XY verschiedenster Arten, aber auch Blumlein und MS kommen so in Frage – und natürlich sind auch gänzlich unabhängige Einzelmikrofonierungen möglich. 

Fotostrecke: 3 Bilder Zum RN17-Stereoset kann ein Kapselset geordert werden.

Technische Werte

Der für die ungefilterten Nierenkapseln angegebene Standardfrequenzgang zeigt neben einer leichten Überhöhung im Bass eine Eigenschaft, die man prinzipiell mit Mikrofonen dieser Preisklasse nicht mehr in Verbindung bringen will: Oberhalb von 10 kHz senkt sich der Frequenzgang ein wenig. Dies muss jedoch nicht per se schlecht sein – warten wir einfach mal auf den Praxiseinsatz. Auch die weiteren Werte reißen niemanden wirklich vom Hocker, so liegt etwa die Empfindlichkeit des phantomgespeisten Mikros bei schwachbrüstigen 6 mV/Pa. Da erscheint es schon fast als positiv bemerkenswert, dass das Eigenrauschen nur mit 23 dB gemessen wurde – nach A-Bewertung sind es noch 18. Der eigentliche Spaß ist auf der anderen Seite der Skala zu finden: Auch ohne Pad bringt es ein RN17 auf einen Grenzschalldruckpegel von 150 dB(SPL) – nicht mit 1%, sondern nur 0,5% THD wohlgemerkt. Dem Einsatz am Schlagzeug sollte somit also auch auf keinen Fall etwas im Weg stehen (höchstens die Dimensionen des Mikrofonkörpers). Die rechnerische Dynamik liegt bei wuchtigen 131 dB. Übrigens sollte man ein RN17 nach dem Kauf registrieren: Im Gegenzug erhält man 20 Jahre Garantie und eine dreijährige Austauschgarantie, die sich im Falle eines Austauschs um weitere drei Jahre verlängert.

Praxis

Diese Monster zu handeln hat sehr wenig von der Arbeit mit Kleinmembranern. Nicht nur, dass der Aufbau durch die notwendige Spinne nicht gerade in Sekundenbruchteilen vonstatten geht, man wird von jedem Musiker im einfachsten Fall einen Blick auf die Mikros und ein „Aha“ als Kommentar erzeugen, sollte aber schon mal einen kleinen Satz auswendig lernen, der kurz und bestimmt über die doch besondere Bauform aufklärt. Reden ist zwar toll, hält aber manchmal leider von der Arbeit ab.

Fotostrecke: 3 Bilder Die RN17 sehen in fast schon martialisch aus in ihren elastischen Aufhängungen.

Doch nun ran an die Mistel. Ich muss gestehen: Ich musste wirklich ein wenig warm werden. Beim ersten Hören mit den Nierenkapseln war ich etwas enttäuscht und habe mir mit Gedanken an den Testbericht schon Phrasen bereitgelegt, die „Nice Try“ beinhalteten. Die sE Electronics RN17 klingen etwas dick in den Mitten (gar nicht so unbedingt im Bass, wie es der Pegelfrequenzgang vermuten ließe) und ist dort im Vergleich zu vielen anderen Top-Class-Mikros weniger durchsichtig, neigt gar ein wenig zum „Kleben“. Die Höhen sind ebenfalls nicht neutral – hier tritt der Transformer-Sound deutlich ans Tageslicht. Doch anders als bei vielen Billig-Mikrofonen wird deutlich, dass man es hier nicht mit einem Transparenz- und Neutralitätswunder à la Schoeps zu tun hat, sondern mit einem Mikrofon, das einen wirklich edlen Charakter hat: Die Höhen reiben und kratzen nicht, sondern fügen den matten Glanz hinzu, den man sehr gerne nutzt, um Signalen etwas von ihrer Kantigkeit und Rauheit zu nehmen. Ja: Es ist die echte Neve’sche Silkiness, die hier schon im Mikrofon für das Besondere sorgt. In den meisten Fällen wird es auch nicht zu viel sein und das Signal verwaschen, sondern seinen Charakter unterstützen – hervorragend für Becken-Texturen. Im Akustikgitarren-Beispiel wird auch deutlich, dass der Übertragersound keineswegs wie aufgesetzt wirkt, sondern als Bestandteil des Signals verstanden wird. Dass im Gegenzug ein paar extreme Transienten im Zaum gehalten werden, ist in einem solchen Zusammenhang nur recht – bei Klassikaufnahmen aber eher störend (auch schon bei klassischer spanischer Akustikgitarre). 

Audio Samples
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SE Electronics RN17 Niere

Die leichte Verdichtung tut den meisten Signalen sogar gut, zumal sie sich in einem sehr erträglichen Rahmen abspielt und Rauminformationen weiterhin sehr differenziert und analysierbar überträgt – daran hat der ordentliche Dynamikumfang genauso einen Anteil wie die von fiesen Einbrüchen verschonte Richtcharakteristik. Die leichte Dicke verschafft den mit einem RN17 aufgezeichneten Signalen vor allem eines: Durchsetzungsfähigkeit! Nicht zuletzt deswegen sehe ich die sE vor allem in Pop-Produktionen, etwa an der Strumming-Westerngitarre oder der Hi-Hat. „Schoeps MK2 durch einen heißen 73er-Pre“ war eine meiner Assoziationen beim Abhören, das lässt sich anhand der Soundbeispiele sicher nachvollziehen. Und eine weitere Parallele fällt mir auf, denn diese Kleinmembraner haben einige Eigenschaften edler Großmembran-Mikrofone mit FET – doch sind sie gleichzeitig ein wenig agiler und frischer. 

Audio Samples
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SE Electronics RN17 Kugeln

Schraubt man die Druckempfänger auf die kauzig aussehenden Mikrofone, fällt auf, dass man es hier nicht mit dem absoluten Neve-Vintage-Overkill zu tun bekommt, sondern sehr cleane Signale erhält, die zwar den Grundcharakter transportieren, dabei aber ausreichend verhalten bleiben, um vielseitig genutzt werden zu können. Gut, denn bei der Arbeit mit Kugeln kann eine zu auffällige Färbung gerne nerven. Die Omni-Aufsätze zeigen sich deutlich härter als die Nierenkapseln, aber an keiner Stelle agressiv. Das Ergebnis ist ein schnelles, sehr konkretes Signal mit leichtem Glow in den Höhen, welches dem Laborcharakter mancher Druckempfänger mit einer Prise Veredlung entgegentritt – und auf diese Weise interessant macht! Den Verantwortlichen bei sE kann man auf die Schulter klopfen, denn die wirkliche Schwierigkeit, die es bei „Prisen“ gemeinhin gibt, haben sie hervorragend im Griff gehabt: die Dosierung!

Fazit

Die sE Electronics RN17 können im tontechnischen Betrieb hervorragende Dienste leisten. Zwar werden ihre Klangeigenschaften nicht immer und in jeder Situation gewünscht und angebracht sein, aber dort, wo Signale schon vom Mikrofon ein wenig edlen Charakter und Prägnanz mit auf den Weg bekommen sollen, können die Rupert-Neve-Mikrofone genau richtig sein und dafür sorgen, dass höchstpräzise, chirurgische Kleinmembraner nach dem Shoot-Out wieder zurück in den Mikrofonschrank wandern. Dass der Aufwand betrieben wird, den Mikrofonen einen speziellen Übertrager zu bescheren und den RN17 damit ein etwas verschrobenes Äußeres zu bescheren, macht sich durchaus bezahlt. Stichwort „bezahlt“: Angesichts der Leistung ist der zugegebenermaßen nicht gerade geringe Preis durchaus gerechtfertigt.

Unser Fazit:
5 / 5
Pro
  • verhaltener, aber veredelnder Neve-Charakter
  • Dynamik
  • Ausstattung
Contra
Artikelbild
sE Electronics RN17 Test
Etwas befremdliches Äußeres, interessanter Sound: RN17
Etwas befremdliches Äußeres, interessanter Sound: RN17
Spezifikationen
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger (DE-Kapseln optional)
  • Richtcharakteristik: Niere (andere Kapseln optional)
  • Wandlerprinzip: Kondensator
  • Betriebsspannung: 48 V Phantomspeisung
  • Frequenzgang: 20 Hz – 20 kHz
  • Übertragungsfaktor: 6 mV/Pa
  • THD+N: 18 dB(A-bewertet)
  • maximaler Schalldruckpegel: 150 dB SPL (0,5% THD+N)
  • Preis RN17 (Stereoset mit Nierenkapseln): € 1902,- (UVP)
  • Preis Kapselset (je 2x Niere mit Hochpassfilterung, Hyperniere, Kugel, Acht): € 2854,- (UVP)
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