Shure MV88+ Test

Das USB-Stereomikrofon Shure MV88+ weckt bei mir Erinnerungen an meine ersten Recording-Gehversuche: Mit einem Minidisk-Recorder und einem kleinen Stereo-Tischmikrofon habe ich von Songideen über Bandproben bis hin zu Live-Mitschnitten alles aufgenommen, was mir vors Mikro kam.

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Schon damals war das Setup kompakt und mobil, aber heutzutage hat man es noch leichter: Mit einem Smartphone und dem Shure MV88+ hat man quasi immer ein kleines Tonstudio in der Tasche.

Details

Überall und für alle

Das Shure MV88+ ist ein externes Stereo-Kondensatormikrofon mit Micro-USB-Anschluss, kann am Smartphone genauso betrieben werden wie am Tablet oder einem Desktop-Rechner. Durch den integrierten Kopfhöreranschluss braucht man (außer einem Kopfhörer) kein weiteres Zubehör, um immer und überall Aufnahmen zu machen. Die Einsatzzwecke so eines kleinen Stereo-Recording-Setups sind dabei vielfältig: Das reicht von den eingangs erwähnten musikalischen Anwendungen (Songdemos, Bandproben, Live-Mitschnitte), den Aufnahmen eines Content-Creator (Youtube-Videos, Podcasts) oder einens Sound-Designers, eines Musiklehrers (Online-Unterricht), bis hin zum Einsatz als Mikrofon bei Film- und Videoaufnahmen.

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Das Shure MV88+ ist ein kleines und vielfältig nutzbares Stereomikrofon. Mit Windschutz auch unter freiem Himmel.

Mikro vom Audio-Pionier

+Beim MV88+ steht „Shure“ drauf, und dieser amerikanische Hersteller ist einer der Pioniere der Mikrofon- und Tonstudiotechnik. Noch heute stehen zwei Shure SM57-Mikrofone am Rednerpult des US-Präsidenten, wenn er außerhalb des Weißen Hauses auftritt. Dabei muss man wissen, dass das SM57 seit über vier Jahrzehnten unverändert hergestellt wird! Mein Erwartungen an das Shure MV88+ sind also automatisch etwas höher als wenn ich ein No-Name-Produkt in den Händen halten würde.

Massiv und road-tauglich

Das Shure MV88+ Stereomikrofon steckt in einem kleinen, aber überraschend massiven Gehäuse aus Metall. Der Mikrofonkörper misst gerade mal 33 mm im Durchmesser, die etwas abgesetzte Mikrofonkapseln-Einheit ist mit 18mm etwas dünner. Die Länge des MV88+ beträgt nur 78 mm und das Mikro bringt tatsächlich auch genau 78 Gramm auf die Waage. Alle Anschlüsse befinden sich auf der Unterseite des Mikrofon: Es gibt den Micro-B-USB-Anschluss, eine 3,5 mm Stereokopfhörerbuchse und eine LED, die als Status- und Clip-Indikator dient. Eine grün leuchtende LED signalisiert Einsatzbereitschaft, übersteuerte Signale werden durch rotes Aufleuchten angezeigt. Ein kleines, aber sehr praktisches Feature! Weitere Bedienelemente gibt es nicht, alle Einstellungen, die über den reinen Aufnahme-Pegel hinausgehen, werden per App, bzw. Software eingestellt. Und das MV88+ hat mehr Features unter der Haube, als man vermuten mag.

Fotostrecke: 2 Bilder Knuffige 78 Gramm bringt das MV88+ auf die Waage.

Ein Mitte/Seite-Mikrofon

Im Shure MV88+ stecken zwei zehn Millimeter Kondensatormikrofonkapseln, die zugrunde liegende Mikrofonanordnung nennt man das Mitte/Seite-Verfahren: Eine Mikrofonkapsel, (hier) mit der Richtcharakteristik Niere ist nach vorne ausgerichtet und liefert das Mitten-Signal. Eine zweite, um 90° Grad versetze Kapsel, mit der Richtcharakteristik Acht, liefert das Seitensignal. Um das Ausgangssignal eines M/S-Mikrofons auf Stereoboxen oder einem Kopfhörer anzuhören, muss aus dem Mitte/Seite-Signal erst ein linkes und rechtes Signal erzeugt werden. Das erledigt das Shure MV88+ die meiste Zeit unsichtbar im Hintergrund, es ist aber möglich, die „Raw“ genannten Einzelsignale der beiden Mikrofonkapsel aufzunehmen, um die Umwandung später selbst zu erledigen – was ein paar Vorteile gegenüber „normalen“ Stereo-Mikrofonen mit sich bringt.

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Die Kapsel für das Seitensignal liegt quer zur darüber liegenden Mono/Mitten-Kapsel.

Die Vorteile des M/S-Mikrofons

Bei der Umwandlung des M/S-Signals werden die beiden Signale der Kapsel auf eine spezielle Art zusammengemischt, das Signal des Seitenmikrofons wird einmal mit gedrehter Phase und einmal mit ursprünglicher Phasenlage dem Mittensignal zugemischt, herauskommt dann ein L/R-Signal. Durch das Mischverhältnis lässt sich der Öffnungswinkel des Shure MV88+ nachträglich verändern, etwas griffiger ausgedrückt: Das MV88+ kann wie das Zoom-Objektiv der Fotokamera arbeiten, entweder ein sehr breites „Weitwinkelsignal“ aufnehmen, den Fokus aber genauso gut mit engen Winkel auf ein einzelnes Schallsignal in der Stereomitte richten. Da die beiden Mikro-Kapseln sehr dicht beieinander liegen, entstehen zudem keinen Kammfiltereffekte durch Phasenunterschiede, das M/S-Mikrofon gehört zu den Intensitätsstereophonie-Verfahren, bei denen sich die beiden Kanäle nur im Pegel (und nicht in der Phasenlage) unterscheiden. Zudem liefert das Mitte-Mikrofon ein astreines, monokompatibles Signal. Also ein Mono-Signal, welches keine Klangveränderung durch eine Summierung zweier Signal erfahren hat.

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Das Shure MV88+ kann neben dem Stereosignal, die „raw“ genannten M/S-Einzelsignale und zudem Mono-Signale mit Niere und Acht aufnehmen.

2/2-Audio-Interface inklusive

Im Shure MV88+ steckt ein AD/DA-Wandler, das Signal der beiden Mikro-Kapseln wird noch im Mikro digitalisiert und ans Aufnahmegerät geschickt. Das MV88+ kann mit Bit-Tiefen von 16 und 24 Bit sowie Sample-Raten von 44,1 und 48 kHz wandeln. Gleichzeitig kann ein Stereosignal über den integrierten Kopfhöreranschluss abgehört werden. Das MV88++ ist im Prinzip ein Mikrofon mit eingebautem „zwei rein, zwei raus“-Audio-Interface. Am Kopfhörerausgang liegt ein Mix aus dem Mikro-Signal des MV88+ und einem Playback-Signal (vom Recording-Device) an. Das Mischverhältnis dieser beiden Signale kann nicht am MV88+ selbst geregelt werden, das geht nur über die Shure Motiv-Apps, die Prinzip das Software-Bedienpanel des MV88+-Mikrofons darstellen.

Mitgedacht: sehr lange Kabel!

Das Shure MV88+ wird mit zwei USB-Kabeln geliefert, einem USB-A- und einem USB-C-Kabel. Die Kabel sind mit drei Metern auf den ersten Blick ungewöhnlich lang für ein USB-Mikrofon, aber dahinter steckt nichts weniger als praktische Erfahrung: Auf einem Mikrofonstativ mit Ausleger montiert, benötigt man alleine vom Mikrofon bis zum Boden schon locker eineinhalb Meter Kabel. Wer also sein Smartphone oder Laptop nicht mit Gaffa-Tape am Stativ festkleben möchte, braucht die langen Anschlussstrippen! Ein USB-Micro-auf-Lightning-Kabel befindet sich leider nicht im Karton. Besitzer von Devices mit diesem Anschluss müssen also auf einen Adapter zurückgreifen oder ein zusätzliches Kabel kaufen (in drei Metern Länge habe ich ein Lightning-Kabel allerdings nicht gefunden…). Weiter befinden sich eine Stativklemme (mit Reduziergewinde) und ein Windschutz im Lieferumfang, zudem eine der typischen Shure-Mikrofontaschen mit Reißverschluss, in der alles verpackt und transportiert werden kann. Im Lieferumfang der „normalen“ MV88+-Version vermisse ich eigentlich nur ein Tischstativ, aber es gibt das MV88+ auch in einer etwas teureren „Video Kit“-Version, bei der ein Hand/Tischstativ des Herstellers Manfrotto im Lieferumfang enthalten ist.

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Apps für daheim und unterwegs

Zugriff auf die DSP-Funktionen und Parametern des Shure MV88+ bekommt man nur über die kostenlosen Shure Plus MOTIV-Apps. Derer gibt es drei: Die Shure MOTIV Audio App, und die Shure MOTIV Video App (für Smartphones und Tablet) und die Shure MOTIV Desktop-Anwendung (für den stationären Rechner, bzw. das Laptop). Die Funktionen der mobilen Apps und der Desktop Anwendung sind weitgehend identisch und neben dem wichtigen Schieberegler für den Gain-Wert, kann man hier einen Limiter, einen Kompressor, einen Low-Cut (bis 150 Hz) und einen fünfbandigen EQ dazu schalten.

Fotostrecke: 3 Bilder Übersichtlich und einfach zu bedienen: Die GUI der MOTOV-App auf einem iPhone SE.

Wer einfach und schnell loslegen möchte, kann einen der fünf voreingestellten Modi nutzen (Sprache, Gesang, Flat, Akustisch und Laut), dabei werden Aufnahmewinkel und interne Bearbeitungen wie Limiter und Kompressor der Anwendung entsprechend eingestellt. Diese Einstellungen können natürlich geändert und diese Änderungen lassen sich in eigenen Presets abspeichern.

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Praxis

Anschluss und Bedienung

Man kann das Shure MV88+ direkt an einem PC- oder einem MAC-Rechner anschließen, sogar am USB-Anschluss meiner Tastatur funktioniert das Stereomikrofon problemlos. Es wurde sofort erkannt und ich konnte das MV88+ in meiner DAW-Software (Pro Tools) einbinden auch gleich aufnehmen. Zugriff habe ich in diesem Fall allerdings nur auf den Mikrofon-Gain und das auch nur über die Ton-Einstellungen des Betriebssystems. Wer mehr Parameter steuern möchte, benötigt die Shure Plus Motiv Apps, dann hat man Zugriff auf den Limiter und Kompressor des MV88+, und man kann jetzt sogar das „echte“ M/S-Signal der Mikrofonkapseln aufnehmen. Das zeigt, dass die Shure-Entwickler bei der Entwicklung des MV88+, neben aller Einfachheit in der Bedienung, den fortgeschrittenen Anwender nicht aus den Augen verloren hatten. Interessant ist die Tatsache, dass sich das MV88+ die letzten Einstellungen, die man in der Shure-App getätigt hat, merkt. Nutzt man das Mikrofon dann zum Beispiel mit der Standard-Kamera-App, agiert das MV88+ mit diesen, zuvor eingestellten Parametern.

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Audio-Beispiele

Zum Testen habe ich das Shure MV88+ gleichmal ins kalte Wasser geworfen, und es mit in den Proberaum zu „Markus Rill & the Troublemakers“ genommen. Bandproben, mit ihren Lautstärken und unvorhersehbaren Pegelsprüngen gehören zu den eher undankbaren Recording-Situationen für so ein Setup. Aber, soviel vorweg: Das MV88+ schlägt sich hervorragend! Der Aufbau: Geprobt wurde in einem Keller mit niedriger Decke, die Band steht mehr oder weniger im Kreis, Gesang und Keyboard wurden durch eine einzelne Aktivbox verstärkt, E-Gitarre und Bass durch Amps, Drums sind rein akustisch. Als Aufnahmegerät diente mein altes iPhone SE, als Ablagefläche für das MV88+ diente eine Conga. Alle Aufnahmen sind wie immer lediglich normalisiert (Peak-Modus) und ansonsten unbearbeitet.

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Das MV88+ bringt diese räumliche Situation gut rüber, jedes Signal ist zu hören, und vor allem die Position der Musiker im Keller wird realistisch abgebildet. Sehr schön hört man das am Knarzen des Keyboard-Hockers am Anfang des Audio-Beispiels und der Position der Drums im Stereobild: Keyboarder Sebbo Bach saß rechts und Schlagzeuger Daniel Feldmeier links vom Mikrofon. Aufgenommen wurde im weiten L/S-Modus (135° Grad Öffnungswinkel), mit der Shure Motiv-App.

Audio Samples
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Bandprobe, Stereo 75° Winkel

Bei einem weiteren Song habe ich den „Raw“-Modus gewählt und das M/S-Signal später im Pro Tools umgewandelt. Ein Audiofile zeigt das reine Mittensignal, das als einzelnes Mono-Signal verwendet werden kann. Das Signal des Achter-Mikros (mit invertierter Polarität für das linke Signal) klingt alleine recht seltsam, in der Mischung passiert aber ein klein wenig M/S-Magie: In zwei Beispielen könnt ihr euch anhören, wie sich der Aufnahmewinkel nachträglich verändern lässt.

Audio Samples
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Bandprobe, enger Winkel Bandprobe, weiter Winkel Bandprobe, nur Mittensignal Bandprobe, nur Seitensignal

Weiter geht’s mit der klassischen Gitarre, diese klingt ebenfalls wieder sehr natürlich! Und wieder brilliert das Shure MV88+ bei der Stereodarstellung: Das Mikro stand nicht exakt gerade vor der Gitarre, es war leicht aus der 0°-Grad-Achse nach rechts gedreht. Und das hört man sofort, die Phantomschallquelle der Gitarre ist leicht nach links gerutscht (weil durch die Verdrehung nach rechts die linke Seite mehr Pegel abbekommen hat). Das ist kein Fehler des Mikrofons, mehr ein Anwenderfehler meinerseits und zeigt, wie sauber das MV88+ arbeitet! Zum Beurteilen der Höhen und der Transienten-Wiedergabe gibt’s wie immer den Shaker. Weiterhin gilt: Es gibt nichts zu mäkeln am Shure MV88+.

Audio Samples
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Akustik-Gitarre, Stereo 75° Winkel Shaker, Stereo 75° Winkel

Dann habe ich noch einige Aufnahmen mit einer Akustik-Gitarre (Stahlsaiten, Standard-Tuning) gemacht. Hier habe ich den internen Limiter und den Kompressor zugeschaltet. Beide arbeitet arbeiten nicht unhörbar, aber mit beiden kann man arbeiten, solange die Gain-Werte moderat bleiben. Übrigens: Erst bei diesen beiden letzten Aufnahmen, der Akustikgitarre mit Kompressor und Limiter, hatte ich das dringende Bedürfnis mit dem EQ einschreiten zu müssen, weil mich jetzt die härteren Höhen bei ca. 1,6 kHz und 5 kHz doch stören. Hat ganz schön lange gedauert, „Chapeau!“ Shure MV88+!

Audio Samples
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Akustikgitarre, Stereo 75° Grad Akustikgitarre, Mono, nur Mitte Akustikgitarre, interner Kompressor Akustikgitarre, Kompressor + Limiter

Fazit

Das Shure MV88+ ist ein kleines Mikrofon mit großem Nutzen! Im Prinzip reichen ein passendes Kabel und ein Kopfhörer, für ein Hosentaschen-Setup, das wirklich brauchbare, und vor allem in jeder Hinsicht weiterverwertbare Aufnahmen liefert. Ich würde sogar behaupten: Will man mehr Klangqualität, als dieses Setup aus Shure MV88+ und Smartphone bietet, muss man schon hochwertige Kleinmembran-Kondensatormikrofone und professionellen Mic-Preamps auffahren! Apropos „professionell“: Besonders gefallen hat mir die Tatsache, dass Shure beim MV88+ trotz aller Einfachheit dem versierten User Zugriff auf die tieferliegende Parameter des Systems ermöglicht.

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Features & Spezifikationen
  • Kapseltyp: Kondensator, 10 mm Kapseln
  • M/S-Stereophonie mit Niere- (Mitte) und Achterkapsel (Seite)
  • Mikrofon-Modi: LS-Stereo, Raw M/S, Niere Mono, Acht Mono
  • Übertragungsbereich 20 bis 20.000 Hz
  • Empfindlichkeit -37 dBFS/Pa @ 1 kHz
  • Maximaler Schalldruckpegel 120 dB
  • Einstellbarer Verstärkungsbereich 0 bis 36 dB
  • Integrierter Limiter und Kompressor
  • Low-Cut-Filter (bis 150 Hz)
  • Equalizer mit fünf Bändern
  • Fünf DSP-Presets: Sprache, Gesang, Flat, Akustisch und Laut (Band)
  • 16/24 Bit und 44,1/48 kHz, WAV und AAC
  • Spannungsversorgung über USB oder Lightning
  • Gewicht: ca. 78 Gramm
  • Maße: Höhe 78 mm, Durchmesser Korpus 33 mm, Durchmesser Kapseleinheit 18 mm
  • Preis: € 199,– (Straßenpreis 6.12.2021)
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Klangqualität
  • kompakt, robust, mobil
  • einfache Bedienung trotz vieler Features
  • sehr lange USB-Kabel
Contra
  • keines
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Shure MV88+ Test
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